Authentizität!?

Authentizität ist ein Wort, das man in den letzten Jahren immer öfter hört. „Wenn du Millenials erreichen willst, musst du authentisch sein.“ – „In deinem Beruf erwartet man einfach von dir, dass du authentisch bist.“

Stars versuchen das, indem sie auch aus ihrem Privatleben Twittern und Instagrammen (ist das überhaupt ein Wort?). Pastoren versuchen das, indem sie Geschichten aus ihrem Leben in die Predigten einbauen.

Aber, bleibt es dabei nicht trotzdem häufig bei etwas Künstlichem? Wer postet schon ein Foto bei Instagram, wenn irgendwie der ganze Tag schlecht läuft und man deprimiert vor dem Fernseher auf dem Sofa liegt? Wer schreibt ein Facebook-Update, wenn man sich gerade mit seinem Partner gezofft hat?
Und selbst wenn, auch mit einer Schwäche lässt sich ja super kokettieren und sie damit in eine Stärke, bzw. ein Machtinstrument umwandeln („Schaut mal, was ich alles aufgebe, dann müsst ihr das doch auch…“ – „Da seht ihr, wie schlimm es mir geht, habt mich jetzt bitte alle lieb, weil es keinem von euch auch nur halb so schlecht geht.“).

Auf diese Weise wird die Authentizität zu einer neuen Fassade, die ich aufstelle. Ich lasse Menschen hinter die vorderste Fassade schauen und hoffe, dass sie nicht merken, dass sie sich jetzt wieder nur einen großen Karton anschauen, der an ein Holzgerüst genagelt ist.

In diesem ganzen Authentizitäts-Dschungel treffe ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder auf die Fragen:
Wer bin ich eigentlich wirklich? Und wen glaube ich den anderen vorspielen zu müssen?

Wie die meisten Menschen will ich von denen, die mich umgeben geliebt werden.
Um das zu erreichen schlägt jeder von uns einen anderen Weg ein. Manche passen sich um jeden Preis an. Andere helfen, bis sie nicht mehr können. Der eine ist 24/7 per Telefon oder WhatsApp für Freunde erreichbar und die andere bringt sich so sehr ein, dass in ihrer Firma alles zusammenklappt, wenn sie mal ein paar Tage krank ist.

Bei Christen geht das dann oft so weit, dass sie auch denken, dass sie genau das auch mit Gott machen müssen (denn, seinen wir mal ehrlich, das mit der bedingungslosen Liebe kann nur für die anderen gelten, nicht für solche Vollpfosten wie uns).

Je mehr ich zu diesen Fragen lese, höre, rede und anschaue, desto mehr drängt sich mir der Gedanke auf: Unsere Gegenüber wollen das doch überhaupt nicht von uns. – Ich will das auch gar nicht von meinen Gegenübern.

Wenn ich sehe, dass ein anderer Mensch auch Schwächen hat, dann wirkt er für mich doch sympathischer. Wenn jemand bereit ist, mich um Vergebung zu bitten, wenn er etwas verbockt hat, anstatt seine Fassade immer größer, pompöser und unangreifbarer auszubauen, dann zieht mich das eher zu dieser Person hin, als dass es mich abstößt.

Warum denken wir also ständig, dass wir den Menschen um uns herum etwas vorspielen müssen? Warum arbeiten wir so kräftig daran, die Fassaden aufrecht zu erhalten? Warum belügen wir unsere Kollegen, unsere Familienangehörigen, unsere Freunde, unsere Partner und vor allen Dingen uns selbst?

Mal abgesehen davon, dass wir Menschen damit verletzen, wenn sie plötzlich Lücken in unseren Fassaden entdecken, ist es doch unglaublich anstrengend so zu tun, als seien wir größer, besser, stärker, klüger, kompetenter, … als wir es wirklich sind.

Wie Paul Young in diesem Interview (knapp 40 gut investierte Minuten) erklärt, ist der Weg aus diesem ganzen Getue allerdings nicht einfach. Er hat 11 Jahre (auch mit intensiver Therapie) dafür gebraucht.
Für Donald Miller war es nicht ganz so schwer (andere Vorgeschichte). Aber auch bei ihm ist klar, dass der Weg anstrengender ist, als man im ersten Moment denkt. Er beschreibt das in seinem neuen, sehr lesenswerten Buch „Scary Close“.

Überlege ich allerdings, was die Alternativen für mich und meine Beziehungen (zu Gott und den Menschen) sind, dann bleibt doch einfach nur, sich langsam aber sicher auf den Weg zu mehr echter Authentizität zu bewegen.
Natürlich heißt das nicht, dass jeder Mensch auf der Welt alles über mich wissen muss. Aber mich wegen dieses anderen Extrems nicht auf den Weg zu machen ist auch keine Lösung.

 

Photo von J c auf Flickr.